Brr Sauwetter,
Am liebsten will man sich jetzt einmuckeln und schön in der Stube hocken bleiben, nicht das einer das gleiche passiert wie der Radieschen,- die sind erfroren und tot.
Wir sind natürlich auch bei Schmuddelkaltpfui unterwegs mit klammen Dingerchen und kalten Flossen, trotzdem ist deutlich zu merken, die Arbeit wird weniger und der Takt langsamer, das ist auch gut so und dringend nötig. Der letzte Kraftakt ist traditionellerweise die Mitgliederversammlung und davon habe ich ja versprochen zu berichten: Also auf die Lauscherchen, kommt ans Feuer liebe Kinder und hört:
Die erste MV die im Hybrid Modell stattgefunden hat, uiui Digital und in Präsenz gleichzeitig. Jedes Jahr sind wir krampfhaft am Überlegen wie wir euch zur Teilnahme an der MV motivieren können, wir sind ja abhängig von eurer Anwesenheit und innerer Beteiligung oder vielleicht besser; wir brauchen BEZIEHUNG. Was wir machen ,wie wir es machen und warum (und warum es auch so sein soll wie es ist) unterscheidet sich in vielen Dingen ziemlich grundlegend von Supermarkt und Wochenmarkt, konventioneller Landwirtschaft und sogar Biolandwirtschaft, Gewohnheiten, Annahmen und Wertempfinden. Teil unserer Aufgabe ist das verständlich und erlebbar zu machen,- tatsächlich sind wir von dieser, ich sag mal Bildungsarbeit, abhängig,- schliesslich muss euch ja irgendwie einsichtig sein das ihr einen ökologischen/sozialen/ethischen oder genussvollen Mehrwert habt vom Experiment Luzernenhof.
Und ein Experiment ist es, (wir proben immer noch den Erfolg) ich bin mir bloss nicht sicher ob das Experiment landwirtschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Natur ist.
Na und um das zu verklickern schreibe ich schmissige Infobriefe, gibt es Luzernenhofwohlfühlveranstaltungen wie Hoffest und ApfelwiesenBrunch, Mitmachaktionen wie Möhrenernte, Zwiebelernte, Gemüsehack-tag, Erfahrungspraktikum und Bildungsveranstaltung a la Sensenkurs und Obstbaumschnitt. Und halt Mitgliederversammlung,- die im übrigen eine Pflichtveranstaltung ist wie ich jetzt mal ganz Oberlehrerinnenhaft anmerken will: So steht es geschrieben in der Satzung „Pfui Pharao“ wie die kleine Lotta sagt, schämt euch alle die ihr nicht da wart (und keinen guten Grund hattet, das gibts ja auch noch…) Wahnsinnig gefreut haben wir uns natürlich dennoch um guten Besuch, wenn man die durchschnittliche Ödnis von Mitgliederversammlungen bedenkt sind wirklich immer viele da und super engagiert und interessiert und ich freu mich über jedes neue Gesicht das ich dann beim „Taschepacken“ vor mir habe. Unsere MV ist auch deutschlandweit die einzige mit so vielen Lachern, guter Stimmung und lecker Kuchen und Suppe, da bin ich sicher!
Gab auch wieder heisse Eisen zu entscheiden und ich freue mich sehr das der Antrag aus der Mitgliedschaft (Danke Mirko) für faire Bezahlung von euch beschlossen wurde.
Ziel ist demnach ein Stundenlohn für uns von 18 €, (also nicht jetzt gleich sondern schrittweise bis 2027) das ist eine feine Sache. Das entspricht 70% vom aktuellen Durchschnittsgehalt. Eine Krankenschwester oder ein Krankenbruder verdient zwischen 21 und 25 €, eine Erzieherin 20€, der Müllmensch 13 € und die Friseurin/der Friseur 15 €. Der gesetzliche Mindestlohn liegt aktuell bei 12,82 €. Wir bekommen aktuell (je nach Ausbildung und Verantwortungsstand) zwischen 12,82€ und 15 €. Ziel in dieser Runde ist für alle 15 €. Wieviel eine Stunde kostet ist natürlich die eine Frage, was in einer Stunde geschafft wird die andere – Stichwort Arbeitswirtschaft. Und davon will ich euch jetzt ein bisschen berichten.
Im Gemüsebau gibt es drei grosse Schlagwörter der Arbeitsersparnis: Körperdrehung, Seitschritte, Übergabegriff.
Damit werden Körperbewegungen genannt die „wirkungslos“ sind weil sie ohne Arbeitsfortschritt gemacht werden müssen. Dieselben sind einzusparen weil sie keinen Produkteffekt bringen und gleichzeitig ein Verschleisspotential des Körpers bilden. Ein Beispiel dazu; wenn ich Salat ernte muss ich auf dem Beet vorwärts gehen damit ich an den nächsten Salat komme,- während ich mich bewege ernte ich aber keinen Salat, also eigentlich eine Zeitverschwendung, gleichzeitig bin ich vielleicht in einer gekrümmten Körperhaltung weil ich mich Richtung Boden bücke und deshalb in der Gefahr das wichtigste „Arbeitswerkzeug“ der Gärtnerin, ihren Körper, zu beschädigen.
Beides teuer.
Bei jeder Einzelbewegung gehen wenige Sekunden verloren, in der Summe aber bares Geld. Dazu auch eine Veranschaulichung. In meiner Ausbildung habe ich gelernt das jeder Übergabegriff 0,3 bis 1 Sekunde dauert. Mit Übergabegriff meint man den Wechsel von einer Hand in die andere, ein typischer Erntegriff. Die eine Hand ist die Messerhand die andere die Sammelhand zum Beispiel bei der Schnittlauchernte. Mittig halte ich den Schnittlauchbusch, Handrücken zu mir Daumen nach unten der Sammelhand, unten schneide ich mit der Messerhand- jetzt gebe ich das Bund in die die Messerhand (1.Übergabe) um es oben zu packen und abzuschlagen (einReinigungsgriff um kleine meist gegilbte Schnittlauchröhrchen auszuschütteln) dann gebe ich es zurück in die Sammelhand (2.Übergabe) dann schneide ich unten das Bund für einen sauberen Abschluss und ziehe mit der selben Hand die auf Zeige und Mittelfinger der Sammelhand befindlichen Gummis über das Bund und lege mit der gleichen Hand das Bund in die Kiste. Zwei Übergaben a (im Schnitt) 0,5 Sekunden = 1 Sekunde „verbraucht“ pro Bund. Weniger gut organisiert würde ich aber vielleicht folgende Fehler machen:
Ich halte die Sammelhand mit dem Daumen nach oben und muss dann das Bund einmal drehen um es abschlagen zu können: also in die Messerhand geben und drehen, umfassen mit der Sammelhand( das Bund muss am spitzen Ende der Schnittlauchröhrchen gepackt werden können) und richtige Übergabe in die Messerhand (1.+2. Übergabe)
Abschütteln und Übergabe in die Sammelhand (3.Übergabe)
Dann habe ich das Gummi auf der falschen Hand und muss mit der Sammelhand das Gummi abziehen und dann in die Messerhand übergeben (4.Übergabe) das Gummibändel rüber,- und in die Kiste (das Gummi rüber und ab in die Kiste? Haltet eure Fantasie im Zaum das ist völlig unbeabsichtigt!) Jetzt ist aber die Kiste auf der falschen Seite, nicht neben meiner Sammelhand! Und ich muss noch eine Übergabe in die Messerhand machen um das Bund in die Kiste zu packen (5.Übergabe)
Ergebnis pro Bund im Schnitt 1,5 Sekunden mehr verbraucht als nötig. Nicht viel?bei 1334 Bund ist eine gute halbe Stunde, Schnittlauch ist aber nicht das einzige was wir Bündeln. Letztes Jahr haben wir im ganzen (falls ich nichts vergessen habe) 11458 Bünde gemacht, alles dabei von Griechischem Bergtee über Basilikum und Ysop bis Rukola und Spitzwegerich, bei jedem 1,5 Sekunden zuviel? 287 Minuten! Immer noch lächerlich? Bei einigen Kulturen z.B. Basilikum der Stengelweise geerntet wird, kann pro Stengel ein unnötiger Übergabegriff entstehen! Bei ca 14 Stängeln pro Bund sind das 7 überflüssige Sekunden.
Keine einzige Erntearbeit ohne Übergabegriff, der Personalaufwand für Ernte ist der grösste Posten im Gemüsebau. Bei einigen Gemüsesorten z.B. Brokkoli, Salat, Tomate, alle Kräuter bzw Schnittkulturen brauchen prozentual gesehen den grössten Arbeitskraftbedarf in der Ernte. Pflanzen, giessen jäten (und da kann man auch inneffizient arbeiten – Arbeitshaltung!) ist der kleinere Teil. Den ganzen Tag gehts von einer Hand in die nächste, so stehts bei der Arbeitswirtschafterin Renate Spraul:
Ein Rechenbeispiel:
Übergabegriffe sind eine einfache Möglichkeit, Zeit einzusparen. Dabei geben wir ein Objekt von einer Hand in die andere. Manchmal ist das nicht gänzlich zu vermeiden, meistens allerdings passieren uns viel mehr Übergabegriffe als für den jeweiligen Arbeitsschritt notwendig wären. Und jeder einzelne Übergabegriff kostet uns rechnerisch 0,24 bis 1 Sekunde Zeit (je nach Abstand der beiden Hände zueinander). Bei lediglich 500 vermiedenen Übergabegriffen (mit exemplarisch je 0,5 Sekunden) pro Person und Arbeitstag sind das zum Beispiel 500 * 0,5 Sek = 4,17 Minuten pro Tag, bei 5 Arbeitstagen = 20,83 Minuten pro Woche, 89,58 Minuten pro Monat und 1075 Minuten (17,92 Stunden) pro Jahr. Bei 5 Mitarbeitenden sind das allein bei diesem Beispiel 89,58 Stunden pro Jahr, die zusätzlich geleistet bzw. umsonst bezahlt werden müssen. Also quasi mehr als zwei ganze Arbeitswochen, die verloren gehen.
Ein anderes typisches Beispiel aus der Ernte,- Salat: In einem Beet stehen drei Reihen Salatköpfe mit einem in der Reihe Abstand von 25 cm, wenn ich die wöchentliche Bestellung von ca 180 – 220 Köpfen ernten will muss ich am Beet entlang laufen. Jetzt kann ich einen Kopf schneiden und dann TapTapTap damit zur Kiste gehen TapTapTap zurück zur aktuellen Erntestelle, Bücken unten abschneiden, Kopf umdrehen, welke Blätter abschneiden und TapTapTap wieder zur Kiste. Oder ich stehe seitlich mit gespreizten Beinen zum Beet, die Kiste steht angelehnt an meinem Bein mit der Messerhand (bei der Rechtshänderin rechtes Bein und rechte Hand) mit geradem Rücken nach unten (Knick in der Hüfte – keinen Buckel machen, durch den Ausfallschritt tieferen Schwerpunkt) mit der Sammelhand den Salatkopf kippen damit ich den Spalt zwischen letzten und vorletzten Blattkranz sehen kann,- da dazwischen ein gerader Schnitt (so ist der untere auf dem Boden aufliegende Blätterkranz der meist welk ist- weil älteste Blätter + Bodenkontakt bereits abgeschnitten und der Nachpflegeaufwand ist geringer) Salatkopf in der Sammelhand behalten und mit einer Drehung Unterseite nach oben kehren, in der Messerhand geht ohne Umgreifen das Messer zwischen Handballen und Mittel,-Ring- und kleinen Finger,- so sind Daumen und Zeigefinger frei um in einer Kreisbewegung eventuell übrig gebliebene unschöne Blättchen abzuputzen. Dann der unvermeidbare Übergabegriff ( der einzige) und mit der Messerhand in die am Bein angelehnte Kiste. Und dann einen Seitwärtsschritt mit rechtem Bein nachziehen, Kiste bleibt am Bein angelehnt!
Ihr seht schon, es sind die kleinen Schräubchen die den Unterschied machen, nicht das ihr denkt wir verdaddeln die Zeit auf dem Acker mit Wiesestreicheln. Früher oder später geht man den Mitarbeitenden natürlich ein bisschen auf die Nerven damit, jedes Jahr sagt irgendeine Frechnase „BlähBläh das hat jetzt aber auch 0,5 Sekunden gedauert das zu sagen“ Wenn mal wieder „ÜBERGABEGRIFF“ über den Acker gebrüllt wird, aber hey das ist keine Erfindung von uns, das ist gute gärtnerische Praxis, Effizienz ist ein Wirtschaftsfaktor Zeit ist Geld und das ist hier kein Schrebergarten. Personalkosten sind nicht nur bei uns der teuerste Posten sondern überall in der Landwirtschaft, nicht ohne Grund wird Gemüse am liebsten da angebaut wo Menschen billiger sind wie hier oder von ausländischen Saisonarbeitskräften.
Und nicht ohne Grund haben wir und ihr diese Wirtschaftsform gewählt,- die einzig mögliche Art in der Menschen sich zusammenfinden und gemeinsam beschliessen in ihrer eigenen Region einen Unterschied zu machen und Verantwortung für den eigenen Konsum zu übernehmen. An dieser Stelle können wir uns alle mal auf die Schulter klopfen und die Herzgegend streicheln, das ist ein gutes Gefühl!
Danke ihr Lieben, bis bald in diesem Studio
Magdi
P.S. Heute gibts wohl auch die Ergebnisse der Bieterunde und ich hab schon den Job bekommen den obligatorischen DankeBettelMahnErgebnis – Bericht zu verfassen, bin ich jetzt selber gespannt was da rauskommen wird!

